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Neue Chance für behinderte Schüler 
 Großes Schulterklopfen im Landtag: Alle Fraktionen haben sich auf ein Gesetz zur Integration von Behinderten in die Schulen (Inklusion) geeinigt. „Bayern ist damit Spitzenreiter in Deutschland", lobt auch die SPD.
VON DIRK WALTER
München/Vaterstetten Martina Frühwald aus Vaterstetten (Kreis Ebersberg) will, dass ihr behinderter Sohn Leopold nicht in ein weit entferntes Förderzentrum geht, sondern in eine ganz normale Grundschule. Leopold ist ein Frühchen mit Entwicklungsverzögerungen. Die Zeit drängt. Noch ist die Schule nicht gefunden, die den Buben aufnehmen würde. Wohl aber gibt es viele Interessenten in Vaterstetten: Bis zu neun Kinder, sagt Martina Frühwald, würden gerne eine „inklusive Schule" besuchen.

„Inklusive Schule" (von Lateinisch includere 7 einschließen) — so etwas gab es bisher nicht. Zum nächsten Schuljahr jedoch sollen die ersten Schulen in Bayern ein derartiges Profil anbieten (wir berichteten). Sie erhalten einen Sozialpädagogen und auch einen zweiten Lehrer in der Schulklasse. Die Neuerung ist nur eine von vielen, die die fünf Fraktionen durchsetzen wollen, um so die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Die Gesetzesänderungen hätten „Pilotcharakter für ganz Deutschland und Europa", rühmte der CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Steiner. Bayern werde damit „Spitzenreiter", erklärte Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD), der gleich von einer „Sternstunde des bayerischen Parlamentarismus" sprach. Auch die bayerische Behindertenbeauftragte Irmgard Badura lobte die Initiative in den höchsten Tönen.

Ziel ist es, behinderten Kindern ab dem nächsten Schuljahr den Besuch von Regelschulen zu erleichtern. Dreh- und Angelpunkt ist, dass die bisherige Voraussetzung — die „aktive Teilnahme" am Unterricht — entfällt. Stattdessen reicht die "soziale Teilhabe" aus. Die Abgeordneten rechnen damit, dass vor allem Kinder mit Entwicklungsstörungen aller Art verstärkt auf Regelschulen gehen werden.

Kinder mit anderen Behinderungen — vor allem geistig Behinderte, Seh- und Hör- Geschädigte — würden wohl wie bisher in den Förderzenren bleiben. Diese seien I )(ichspezialisiert und würden von den Eltern allgemein sehr geschätzt, erklärte der CSU- Abgeordnete Georg Eisenreich. Vielen hörgeschädigten Kindern beispielsweise seien die normalen Schulen schlicht zu laut.

Eine genaue Einschätzung, welche Wege die etwa 60 000 behinderten Schüler der Förderzentren künftig einschlagen werden, gibt es jedoch nicht. Wie auch, fragte Pfaffmann rhetorisch in die Runde. Schließlich betrete man Neuland. Es wird jedoch damit gerechnet, dass sich vor-, erst 30 bis 40 Grund- und Mittelschulen als „inklusive Schulen" deklarieren. Sie sollen als „Leuchttürme" wirken. Abzuwarten bleibe, ob auch Realschulen und Gymnasien Interesse hätten. Abgesehen von Körperbehinderten besucht heute nur ein Bruchteil behinderter Kinder diese Schularten, da sie in der Regel die notwendige Übertrittsnote (2,33 bzw. 2,66) nicht erreichen.

Für die nächsten zwei Jahren sind je 100 Stellen im bayerischen Haushalt geparkt, um den zusätzlichen Betreuungsbedarf an den Regelschulen durch die Anstellung von Sonderpädagogen auffangen:

OVB - 29.03.2011