Immer mehr Menschen brauchen einen rechtlichen Betreuer
Von Sven Loerzer
Immer mehr Menschen sind wegen Krankheit, Alter oder Behinderung auf die
Unterstützung durch einen rechtlichen Betreuer angewiesen. Während im Jahr
2002 noch 8510 Münchner einen gesetzlichen Vertreter hatten, waren es sieben
Jahre später bereits 9623. Mit den Ursachen des Anstiegs ünd der Situation
der Betroffenen beschäftigt sich der erste Bayerische Betreuungsgerichtstag
am heutigen Donnerstag im Alten Rathaussaal, zu dem sich mehr als 300
Teilnehmer angemeldet haben.
Dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten im
Alltag selbst zu regeln, und deshalb vom Betreuungsgericht einen Betreuer
zur Seite gestellt bekommen, hat auch damit zu tun, dass es immer
schwieriger wird, Sozialleistungen zu beantragen. Ein Beispiel dafür ist die
Gesundheitsrefoi die mit der Einführung von Zuzahlungen und Praxisgebühr
gerade alte Leute traf. Viele von ihnen sind nicht in der Lage, eine
Befreiung zu beantragen.
Ganz schwierig wird es, wenn das Einkommen nicht zum Leben reicht. Einen
Antrag auf Arbeitslosengeld II zu stellen, kann psychisch Kranke völlig
überfordern: „Oft regen die Behörden eine Betreuung an, wenn sie merken,
dass die Betroffenen keinen Antrag stellen", sagt Ursula Ruck-Köthe, im
städtischen Amt für soziale Sicherung Leiterin des Sachgebiets „Hilfen bei
Betreuungsbedürftigkeit". So sei etwa ein psychisch kranker Mann, um den sie
sich kümmert, gar nicht in der Lage dazu gewesen, nach einem halben Jahr
Bezug von Arbeitslosengeld II den vorgeschriebenen Wiederholungsantrag zu
stellen. „Er ist damit allei
ne überfordert, auf Grund der Krankheit tut er sich auch schwer damit,
Termine einzuhalten." Ebenso müsste jedes halbe Jahr die
Rundfunkgebührenfreiheit neu beantragt werden. Der Kranke fühle sich von dem
kaum zu überblickenden Follnularkrieg so gestresst, dass er aggressiv
reagiert. „Ich versuche ihn zu unterstützen, damit es dazu nicht kommt Aber
wo Freunde fehlen, wird in solchen Fällen dann ein Betreuer eingesetzt."
Beim Betreuungsgerichtstag, den das städtische Sozialreferat zusammen mit
dem Vormundschaftsgerichtstag veranstaltet, einem Zusammenschluss der in
diesem Bereich tätigen Fachleute, steht die Frage im Vordergrund, welche
Folgen immer komplexere rechtliche Vorgaben und immer mehr Bürokratie haben.
Dem Gesetz nach, das 1992 die Vormundschaft abschaffte, soll eigentlich die
Betreuung das letzte Mittel sein, erläutert Ruck-Köthe - wenn andere Hilfen
nicht genügen. Früher sei es zum Beispiel nicht zwingend erforderlich
gewesen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen - das Amt musste zahlen,
sobald ihm die Umstände bekannt waren. Nach der neuen Gesetzgebung aber ist
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit aber nun eine
antragsabhängige Leistung - wenn der Betroffene das Formular etwa wegen
einer beginnenden Demenz nicht unterschreibt, muss ein Betreuer bestellt
werden.
Letztlich sei es diskriminierend für behinderte, alte und psychisch kranke
Menschen, wenn an sie Anforderungen gestellt werden, die sie nur noch mit
Hilfe eines Betreuers erfüllen können. „Gerade ehrenamtliche Betreuer haben
immer mehr Probleme, weil die Sozialgesetzgebung so kompliziert ist", so
Ruck-Köthe.
SZ - 22.07.2010